Erst einmal vorab: Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass Frauen gleichberechtigt in Führungspositionen, in Aufsichtsräte und Vorstände gehören, oder? Aber obwohl in Deutschland inzwischen immerhin 30 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen sind, beträgt der Frauenanteil in den Vorständen nur 8,8 Prozent – so wenig wie in kaum einem anderen westlichen Industrieland. Zahlreiche Aufsichtsräte veröffentlichen sogar ausdrücklich ein Ziel von „Null Frauen“ im Vorstand (sehr lesenswert zu diesem Thema ist der AllBright-Bericht vom 9. April 2019: „Die Macht hinter den Kulissen – Warum Aufsichtsräte keine Frauen in die Vorstände bringen“). Unglaublich, dass das immer noch so ist.
Aber es geht auch andersrum: Letzte Woche fragte mich eine Freundin, ob ich es nicht „merkwürdig“ finde, dass in der Kindergarten-Gruppe meines Sohnes ein Mann arbeitet. Auf meine Nachfrage, wie sie das meine, sagte sie: „Naja, das ist doch schon komisch, wenn ein Mann diesen Beruf wählt. Das machen doch sonst eher Frauen. Und ich hätte da immer ein bisschen Angst, dass was passiert.“
Puh. Da musste ich erst mal schlucken. Denn was implizierte das? Dass Männer, die einen Beruf mit Kindern wählen, unter so etwas wie Generalverdacht stehen, weil nur Männer Kinder missbrauchen? (Das ist übrigens nicht so. Auch Frauen können Täterinnen sein) Oder dass Erziehung, Betreuung und Fürsorge – also „sich kümmern“ – ganz einfach irgendwie genetisch, naturgemäß oder gottgegeben Frauen- und nicht Männersache ist?
Wir haben das Thema dann nicht mehr weiter vertieft, denn zu intensivem Meinungsaustausch ist man ja bekanntlich ohnehin nicht in der Lage, wenn man versucht, fünf Kinder zwischen einem und sechs Jahren an einem Regentag in der Wohnung zu beschäftigen, ohne, dass letztere völlig auseinander genommen wird.
Aber das Thema ging mir im Anschluss nicht mehr aus dem Kopf, und ich begann ein wenig dazu zu recherchieren.
Nur ca. 6 Prozent der Erzieher in Kitas sind männlich
Die EU hat das Problem offenbar schon recht früh erkannt und empfahl bereits in den 1990er Jahren, die Männerquote in Kitas auf 20 Prozent zu erhöhen. Davon sind wir aber immer noch weit entfernt, denn derzeit sind in Deutschland – je nach Region – zwischen 4 und 10 Prozent der Erzieher männlich. Das sieht in unserer Kita ähnlich, aber immerhin ein bisschen besser aus: Hier sind von ca. 17 Erziehern zwei männlich. Das liegt über dem bundesdeutschen Durchschnitt, ist aber natürlich trotzdem wenig.
Laut einer Studie des DELTA-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung sind 90 Prozent der Fachkräfte der Auffassung, dass männliche Erzieher für die Entwicklung von Jungen und Mädchen wichtig sind und neue Impulse für die pädagogische Arbeit in die Kita einbringen. Trotzdem ist für weibliche Fachkräfte ein unbefristeter Arbeitsvertrag die Normalität (91%), nicht aber für männliche Fachkräfte, von denen nur 77% einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Hier gibt es also eine systematische Ungleichbehandlung von Frauen und Männern.
Woran liegt die geringe Männerquote?
Meiner Meinung sind die Hauptgründe für die geringe Männerquote:
- Die Bezahlung ist vergleichsweise unattraktiv.
- Es gibt in Kitas wenig Aufstiegschancen.
- Das Berufsbild gilt als unmännlich.
- Die gesellschaftliche Anerkennung ist nicht so hoch wie in anderen, als „männlich“ angesehenen Berufen.
- Es bestehen mitunter Vorbehalte wegen möglichen Missbrauchs.
Männer unter Generalverdacht?
Nach den Ergebnissen der oben erwähnten Studie dominiert gegenüber Frauen als Fachkräften in Kitas eine pauschale Unschuldsvermutung, wohingegen gegenüber Männern als Fachkräften in Kitas deutlich stärker ein pauschales Verdächtigungsmoment wirksam ist. Könnte der junge Mann, der sich da so freundlich um mein Kind kümmert, finstere Absichten haben? Könnte es sein, dass der den Job macht, weil er sich ein bisschen zu sehr für Kinder interessiert?
Allerdings muss man sich eines vor Augen führen: Missbrauch findet vor allem im nahen sozialen Umfeld, d.h. in der Familie, der Verwandtschaft, dem Freundes- und Bekanntenkreis und der Nachbarschaft statt. Und: Auch Erzieherinnen machen Fehler und überschreiten Grenzen. Gibt eine Erzieherin einem Kind einen Kuss, obwohl das Kind das nicht will, ist das natürlich auch ein Übergriff.
Welche Gründe sprechen für Männer in Kitas?
Dabei sprechen so viele Gründe für eine Tätigkeit von Männern in Kindertageseinrichtungen:
- Kinder nehmen in einem rein weiblichen Kita-Umfeld wahr, dass Erziehung, Betreuung und Bildung – also alles, was „sich kümmern“ bedeutet – Frauenarbeit ist. So setzen sich schon bei den Kleinen Geschlechterklischees fest, von denen wir uns ohnehin schon längst hätten trennen sollen. Gender Mainstreaming muss auch in Kitas gefördert werden!
- Kitas sollten ein Spiegel der Gesellschaft sein. Männer sind dabei wichtig als alternative Vorbilder, fürs Rollenverständnis und zur Identifikation – von Jungen und Mädchen.
- Männer bringen andere Erfahrungen mit als Frauen und bieten damit neue Impulse für die pädagogische Arbeit.
- Männer bereichern die Erzieher-Teams personell. Wie auch in anderen Berufen arbeiten gemischte Teams besser und erfolgreicher zusammen als rein gleichgeschlechtliche Teams.
- Häufig sind es (noch) die Väter, die ganztags arbeiten und die Mütter, die zu Hause sind bzw. halbtags arbeiten. Umso mehr braucht es in der Kita männliche Bezugspersonen. Männer, die toben, Fußball spielen, raufen – und auch vorlesen, trösten, schlichten, wickeln und den Tisch decken.
- Rein praktisch: Durch den Ausbau der Ganztagsbetreuung fehlen Zehntausende Fachkräfte.
Was sollte passieren?
Die Situation verbessert sich, langsam, aber sicher. Beispielsweise durch den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, durch den ein Fachkräftemangel entstanden ist und der zeigte: Wir können auf Männer in Kitas einfach nicht verzichten.
Bundesinitiativen wie „MEHR Männer in Kitas“, das Bundesmodellprogramm „Chance Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ mit der Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle und der sogenannte „BoysDay“, an dem Jungen Berufe kennenlernen, in denen bislang nur wenige Männer arbeiten, helfen, das Berufsbild des Erziehers auch bei jungen Männern attraktiver zu machen und sind ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Außerdem muss die Bezahlung besser werden – für Männer und Frauen. Weder Männer noch Frauen sollten gezwungen sein, sich von dem Berufswunsch „Erzieher*in“ zu verabschieden, weil sie meinen, eine eigene Familie vom Kita-Gehalt nicht ernähren zu können. Es geht um unsere Kinder. Für mich ist unverständlich, warum die Menschen, die sich tagein tagaus um das Wichtigste kümmern, das wir haben, nicht besser bezahlt werden.
Zuletzt muss sich unsere eigene Einstellung zu dem Thema ändern. Sozial- und Gesundheitsberufe sind kein „Frauending“. Männer können und sollen sich ebenso gut um Kinder kümmern, wie Frauen. Und zuletzt dürfen wir Männer nicht unter einen abstrusen Generalverdacht bzgl. Missbrauch stellen.
Männer bringen Vielfalt in Kitas. Wenn wir erreichen würden, mehr männliche Erzieher in die Kitas zu holen, würden Mädchen und Jungen von beiden Geschlechtern versorgt und erzogen. Das würde bewirken, dass überkommene stereotype Geschlechterrollenbilder (Vater als Haupternährer in klassischen Männerberufen, Mutter in professioneller und familiärer Sorgearbeit) sich nicht verfestigen, sondern sukzessive aufgelöst werden. Insofern haben auch hier Kitas eine Schlüsselfunktion als (früh)kindlich prägende Kraft für Männlichkeit und Weiblichkeit.
Wir sollten uns in allen Bereichen für Chancengleichheit einsetzen.
Eure Nadine xx
Liebe Nadine,
Was für ein interessanter Beitrag von Dir, Dankeschön! Auch in der Kita meines Sohnes arbeitet ein Erzieher und mein Sohn findet ihn ganz großartig! Er betreut zusammen mit einer Erzieherin seine Gruppe und zusammen funktioniert das wunderbar, sie unternehmen tolle Dinge! Du hast vollkommen recht, auch ich fand das anfangs befremdlich, aber jetzt sehe ich was das für eine Bereicherung für alle und vor allem für unsere Kinder ist!
Einen schöne Woche!